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Das 21. Jahrhundert hatte seine eigenen Gesetze. Julia hätte versuchen können, mit der Hilfe der Polizei alles zurückzuhalten. In der Schule hätte es jedoch trotzdem für Aufregung gesorgt. Ihre kleine Schwester wäre vielleicht nicht für jeden nackt zu sehen gewesen, doch allein die Geschichte hätte gereicht, um ihren Ruf zu ruinieren. Im besten Fall würde jeder via Facebook und Co in wenigen Stunden wissen, dass Sandra Opfer einer Vergewaltigung wurde. Mit diesem Kains Mal müsste sie dann leben, auch wenn Mattias und Selina dafür ein paar Monate auf Bewehrung bekamen. Nein, es musste einen besseren Weg geben.
Sandra lag inzwischen in ihrem Bett und schlief sich aus. Mit etwas Glück würde sie sich nicht einmal mehr an die Vorkommnisse der letzten Nacht erinnern können. Aber um sie auch vor den anderen Folgen zu schützen, brauchte es einen Hacker. Dass Julia in dieser Nacht bei Flo geklingelt hatte, hatte nichts mit ihrer räumlichen Nähe zu tun. Nur die Tatsache, dass es an der Schule zahlreiche Gerüchte über seine Hackeraktivitäten gab, brachten sie zu ihm.
“Schaffst du es?”, fragte Julia ein wenig skeptisch. Sie musste ihre Anspannung irgendwie unterdrücken, ohne an ihren Fingernägeln zu kauen. So nahm sie den Lötkolben, der auf dem Tisch war in die Hand und spielte damit rum.
“Bin gleich drin.” Flo war glücklich, seiner heimlichen Flamme helfen zu können. Genaugenommen hätte er vermutlich alles für sie getan, als sie mitten in der Nacht plötzlich vor seiner Tür stand. Der Junge lebte fast alleine in dem Einfamilienhaus. Sein Vater war vor 7 Jahren an Krebs gestorben und seine Mutter arbeite als Ärztin im Krankenhaus. Sie machte viele Überstunden und es schien Tage zu geben, an denen sie gar nicht nach Hause kam.
“Du hast das doch schon Mal gemacht oder?”, fragte Julia etwas zweifelnd. Sie saßen inzwischen schon ein paar Stunden hinter der Ansammlung von Computern.
“Ja, aber anders”, meinte er zu ihr und drehte sich dabei mit einem Lächeln zu ihr. Seine kantige Brille und sein leicht pickliges Gesicht ließen ihn wirklich wie einen Freak aussehen. Auch sein fettiges Haar machte auf Julia keinen besonderen Eindruck. Trotzdem gefiel er ihr in diesem Moment. Vielleicht hatte er ihr schon immer gefallen, auch wenn sie aus vollkommen unterschiedlichen Welten kamen.