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Voyeur

Small Talk

Joseph schüttelte leicht den Kopf. Die Frau schaute auf und hing ihren Blick erst an ihn, dann die Scheibe, hinter der die neblige brandenburgische Landschaft entlangrollte. Nummer eins machte sich seinerseits auf den Weg zu Nummer zwei. Wollte die Frau wirklich nur die Tropfen betrachten? Sie hatte sich etwas zu Joseph hinüber gebeugt. Wenn nur nicht dieses verdammte lange Haar wäre, sonst hätte er jetzt … Joseph sog ihren Duft ein. Leicht und ungewöhnlich herb für eine Frau. Er versuchte, sich auf das Schauspiel an der Scheibe zu konzentrieren.

Eine Stimme, unmittelbar hinter ihnen im Gang, zog ihn aus seinen Gedanken: „Möchten Sie etwas trinken?“

Joseph hatte nicht erwartet, dass bei Busfernfahrten eine Art Steward durch die Reihen gehen würde. „Orangensaft“, sagte die Frau im selben Moment, wie er „Apfelsaft“ sagte. Die Frau lehnte sich zurück. Der Mann mit dem Wägelchen grinste, reichte jedem einen Pappbecher und kassierte.

Joseph und die Frau prosteten sich unverbindlich zu. Der geeignete Zeitpunkt, ein Gespräch zu beginnen, fand Joseph, ehe ihm einfiel, dass Small Talk zu den Stärken anderer Leute gehörte. Bei ihm endete es immer im peinlichen Schweigen, also konnte er den Gesprächsteil überspringen und sich wieder der Scheibe zuwenden. Die Frau lächelte weiter hübsch vor sich hin und griff nach ihrem Buch.

An der Scheibe hatte sich die dicke Nummer eins ziemlich weit von Nummer zwei entfernt. Es wirkte nicht so, als hätten sie noch eine Chance. Schade, dachte Joseph, und begann, mit dem Finger langsam eine Linie zu ziehen, um die beiden wenigstens auf dieser Seite der Scheibe miteinander zu verbinden. Die Fremde streckte die Hand nach seiner aus, wie um ihn aufzuhalten, zog sie aber auf halbem Wege zurück. Sie schüttelte den Kopf. „Nicht schummeln.“ Er drehte sich zu ihr. Wenn er wenigstens einmal durch ihr Haar streichen und dabei … nicht dran denken, hatte sowieso keinen Zweck.

An der Scheibe war Tropfen Nummer zwei deutlich entschlossen, seinen Weg fortzusetzen. Er wanderte hinüber und kreuzte die kleine Spur, die Nummer eins hinterlassen hatte, wie um ihm eine letzte Chance zu lassen.

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