War ich tot? Ein Geist? Mein Herz raste, meine Knie zitterten, der Kater war verschwunden. Ich musste mich berühren, meine Hände kneten um mich zu vergewissern, dass sie noch da waren. Ich fasste meine Füße an, meine Knie, meine Oberschenkel, tastete nach meinem Penis und meinen Hoden, spürte erleichtert das Schamhaar, beruhigend den Bauch, meine Oberarme, mein Gesicht, meine Haare.
Langsam erhob ich mich und griff erneut nach meinem verkohlten Portmonee im Linoleum. Die Koordination einer unsichtbaren Hand stellte mein Hirn vor eine schwere Aufgabe. Zweimal, dreimal griff ich daneben. Dann schließlich konnte ich die Lücke im Bild ersetzen und den steinharten schwarzen Klumpen, in dem meine Kreditkarten, mein Ausweis, mein Leben steckten, ungläubig betasten.
Mir wurde schwindelig. Schmerzen nur im Kopf, ansonsten ging es mir gut. Und jetzt? Wo sollte ich hin? Was sollte ich machen? Hier war ein Reaktor explodiert. Das mussten doch Feuerwehr und Polizei, Katastrophenschutz und THW bemerkt haben? Vorsichtig lief ich barfuß den Gang hinauf. Wie hatte das geschehen können? Warum war ich nicht verbrannt wie die anderen? Und wie konnte ein Atomreaktor Materie unsichtbar machen?
So viele banale Fragen von einem, der keine Ahnung hatte. Ich zog eine Tür auf, ging durch einen weiteren Gang und stand schließlich wieder vor dem Fahrstuhl. Er war außer Betrieb. Ich wollte nur hier raus aus diesem Labyrinth, geriet beinahe in Panik und fand schließlich die Tür zum Treppenhaus.
Als ich im Erdgeschoss anlangte, war noch immer niemand zu sehen oder zu hören. Der Empfang war geräumt. Doch draußen auf der Straße standen eine Menge Menschen etwa 100 Meter vor dem Gebäude des Instituts in der prallen Sonne. Ich sah sie durch die Glastüren der Lobby. Fahrzeuge der Polizei, der Feuerwehr, des THW, Ambulanzen, Sanitäter, Männer in weiß, grün, blau sowie eine Menge Schaulustige. Durch eine offene Tür wehte heiße Sommerluft herein. Umschmeichelte mich.
Da stand ich. Nackt. An einem Ort des größten anzunehmenden Unfalls. War am Leben und fühlte mich gut. Niemand konnte mich sehen. Mir pochte mein Herz bis zum Hals. Was würde passieren, wenn ich mich zu erkennen gab? Welche Experimente würde man mit mir machen? Wieder sah ich an mir herab und sah – nichts. Ich war unsichtbar. Ich war alleine. Ich hatte kein Geld, keine Freundin und keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Meine Welt war zusammengebrochen. Es gab nur noch die Welt um mich herum. War es Zufall? Schicksal? Fantasie oder der Tod? Was es war, wusste ich nicht. Es war, und das begriff ich: Es war. Ich traf meine Entscheidung im Bruchteil einer Sekunde.