Unsichtbar Teil 4
In der Nacht träumte ich von Julia. Ich träumte von feuchten Lippen, suchend, drängend. Träumte von Forderungen, von Überforderungen und fühlte mich seltsam gefangen in meiner Beziehung. Mein Herz schlug rasend, als ich aufwachte, weil mir die Sonne direkt ins Auge schien. Ein greller Ball auf blauem Grund über der Wasserfläche. Der Anblick schmerzte. Ich schloss die Augen, presste die Lider fest zusammen, das Bild blieb. Mein Arm, den ich vor die Augen hielt, brachte keine Linderung. Er war wie aus Glas.
Dann erst wachte ich richtig auf. Ich war unsichtbar. Mein Arm, meine Augenlider, mein Kopf – für niemanden mehr sichtbar, es sei denn, man würde einen Eimer Farbe über mich auskippen. Das Experiment im Institut, die toten Wissenschaftler, die verbrannten Kleider und meine verlorene Identität. Das alles kam mir wieder zu Bewusstsein. Hier auf der Veranda eines Gartenpavillons auf dem Grundstück einer Villa am Wannsee. Ich zog die Decke, in die ich mich eingehüllt hatte, über den Kopf. Mich fröstelte. Die Sonne war gerade erst aufgegangen.
Wieso dachte ich an den letzten Sex mit Julia? Ihre feuchten Küsse, das Ächzen und Stöhnen, das mir auf einmal zu viel geworden war. Ich hockte mich auf den Steg und ließ die Beine ins Wasser baumeln. Die Sonne stand links von mir im Osten. Julia. Zu viele Umklammerungen. Wie lange hatte es zum Schluss gedauert, bis sie zum Orgasmus gekommen war? Ewigkeiten. Wir hatten unsere Gemeinsamkeiten verloren, waren wie zwei Uhren aus dem Takt geraten.
Immer häufiger musste ich mit der Hand erledigen, was ich früher mit dem Schwanz erreicht hatte. Und immer häufiger war der Gedanke daran, sie zu treffen, zu sehen, zu spüren, angenehmer als sie tatsächlich zu treffen, zu sehen, zu spüren. Die Distanz war aufregender als die Nähe. Die Vision schöner als die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit war anstrengend, war fordernd, war launisch und hatte Kopfschmerzen, eine andere Meinung. Die Wirklichkeit war kritisch, mäkelnd und nie so willig, wie die Fantasie.