Sie bremste abrupt neben Daniel, öffnete das Fenster und rief ihm zu: „ Komm, steig ein. Wenn wir uns beeilen, erwischen wir ihn an der nächsten Haltestelle.“
Daniel sah die Frau in dem kleinen Auto verdutzt an.
„Nun komm schon. Du hast es doch eilig, oder etwa nicht?“
„Doch. Sehr.“ Daniel öffnete die Beifahrertür und schwang sich auf den Sitz. „Danke. Das passiert mir so oft. Ich schaffe es einfach nicht, pünktlich zuhause wegzukommen.“
Carmen lächelte ihren Sohn an. „Warum nicht?“
„Ich trödele immer zu lange.“ Daniel sah die Frau an. Sie war sehr schön. Ihre langen braunen Haare hatte sie hochgesteckt und mit einem Reif gebändigt. Sie trug ein luftiges Sommerkleid mit dünnen Trägern und einem großzügigen Dekolleté. Er schätzte ihr Alter auf Mitte bis Ende 30.
Carmen bemerkte, dass der junge Mann sie musterte. Um sich noch etwas mehr zur Geltung zu bringen, bewegte sie sich unauffällig so, das der Saum ihres Kleides noch etwas höher rutschte und einen Blick auf ihre Knie freigab. Sie tat das nicht, um ihrem Sohn tiefe Einblicke zu gewähren, sondern um einen möglichst nachhaltigen Eindruck auf ihn zu hinterlassen. Sie wusste aus Erfahrung, dass der erste Eindruck von größter Bedeutung ist. Daniel holte sie aus ihren Gedanken zurück, während sie mit stoischer Ruhe hinter dem Bus herfuhr.
„Wenn sie nicht etwas schneller fahren, erwischen wir den Bus nicht mehr an der nächsten Haltestelle.“
„Oh, entschuldige bitte. Ich bin keine besonders gute Fahrerin. Wohin musst du denn?“
„Zum Gymnasium in der Steinstraße.“
Carmen kannte die Schule. Sie war dort selbst einmal Schülerin.
„Ok. Dann fahre ich dich dorthin. Ist ja schließlich meine Schuld, wenn uns der Bus immer eine Nasenlänge voraus ist.“ Carmen hoffte, dass Daniel dieser plumpen Ausrede nicht auf die Schliche kommen würde.
„Das ist ja nett von ihnen. Aber das müssen sie nicht. Sie können mich auch hier raus lassen und ich warte auf den nächsten Bus. Ist ja schließlich nicht ihre Schuld, wenn ich dauernd zu spät komme.“
„Kommt nicht in Frage. Ich fahre dich zur Schule. Ich darf doch Du sagen?“