Der Weg in meine Wohnung war mir vertraut und fremd zugleich. Die Stufen die Treppe hinauf nahm ich mit Abscheu und freudiger Erwartung. Und die Polizisten auf der Türschwelle überraschten mich ebenso, wie ich sie erwartet hatte. Der Hausmeister, den ich vom Sehen kannte, stand mit einem Bund Schlüssel auf dem Treppenabsatz. Zwei Polizisten sprachen abwechselnd in ihre Funkgeräte.
Ich war unsichtbar. Und ich war froh darüber. Niemand konnte mich sehen. Niemand sprach mich an. Niemand wusste, dass ich ein neues Leben begonnen hatte. Die Abneigung, in mein altes Leben zurückzukehren, und sei es nur durch die Tür meiner Wohnung, wurde körperlich. Vorsichtig schlich ich mit zitternden Knien an den Polizisten vorbei, ging ins Wohnzimmer und nahm in einem unbeobachteten Moment mein Adressbuch vom Telefontisch. Rasch fand ich die vor ein paar Monaten von engagierten Ehemaligen aktualisierte Liste meiner ehemaligen Mitschüler. Mit Telefonnummern, E-Mailadressen und Anschriften.
Ich faltete den Zettel so klein es ging und beobachtete fasziniert, wie sich das Papier durch meine unsichtbaren Hände in einen schmalen Streifen verwandelte, den niemand beachtete, als er durch den Flur ins Treppenhaus schwebte. Zurück ließ ich alles Andere – meine Musik und meine Kleidung, meine Fotos und meine Bücher, meine DVDs und mein altes Leben. Ich hätte mich einschließen lassen, meine Hosen anziehen und mich wie der Unsichtbare in den Filmen schminken können. So tun, als wäre ich noch der alte, sichtbare Sven. Doch der Wunsch, mein Leben wie ich es kannte, hinter mir zurück zu lassen, war zu stark. So lief ich mit dem Adresszettel in der Hand die Treppe hinab, über den stickigen Hinterhof auf die Straße und fasste wieder Mut.