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Inzest

Unsichtbar Teil 5

Zu Boden gesunken spürte ich kaltes Plastik an Rücken und Po. Wir schnauften und keuchten noch eine Weile, dann zog die Frau ihre Strumpfhose hoch, die Schuhe an und verließ die Kabine. Ihre Schuhe klackten wie Gewehrschüsse auf dem Linoleum. Hatte sie gefunden, wonach sie suchte? Würde sie es überhaupt finden? Vielleicht war sie mir ganz ähnlich. Ähnlich dem Sven, der verzweifelt vor dem Rechner gesessen und sogar zu Bildern von aufgerichteten Schwänzen gewichst hatte. Und vielleicht war sie anders als der Sven, der zu allem gewichst hatte, was ihm im Internet unter die Finger geraten war.

Ich stand ächzend auf. So erregend die körperlose Befriedigung auch war – Lust auf Haut hatte ich wieder bekommen. Mir war kühl geworden. Um mich aufzuwärmen, verließ ich den Sexshop. Nähe, Distanz, Nähe. Eine seltsame Zerrissenheit meldete sich wieder zu Wort.

Nach einem traumlosen Schlaf erwachte auf einer Hollywoodschaukel in einem Kleingarten. Eine Pferdecke hielt mich warm, Vogelgezwitscher hatte mich geweckt, zwei Eichhörnchen hüpften durch die Morgensonne. Es war beinahe romantisch. Die Vorwürfe in meinem Kopf waren für den Moment verstummt, doch an meinem Ziel hielt ich fest. Auf dem Weg zur S-Bahn kam ich an einem Kiosk vorbei. Die Schlagzeile der Morgenpost lautete: „Zahl der Toten bei Reaktorunglück steigt auf 7“. Mit einem Mal war sie wieder da. Die verdrängte Tatsache, dass ich seit einem Unglück unsichtbar war und jetzt, in der prallen Sonne eines frühen Berliner Morgens, feststellen musste, dass ich auch für tot erklärt wurde. Ich las über mich, las von einem 29jährigen Journalisten, der bis auf seine Brieftasche restlos verbrannt war. Mir schossen Tränen in die Augen. Mein Selbstmitleid war wie die geheuchelte Zärtlichkeit eines Fremden.

In der S-Bahn holte mich die Vergangenheit wieder ein. Hätte ich Julia nur häufiger gesagt, wie sehr ich sie brauchte und liebte. Hätte ich es ihr nur öfter gezeigt, wie viel sie mir bedeutete. Während ich nackt durch die Bahn mit schwitzenden Menschen schlich, Frauen in den Ausschnitt starrte und unter den Rock, schwor ich mir, keine Gelegenheit in meinem Leben mehr zu verpassen.

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