Ich hatte nicht vor, in dem Club mit irgendjemandem Sex, geschweige denn eine SM-Session zu haben. Stattdessen wollte ich mir einfach eine nette kleine Ecke suchen, dort für ein, zwei Stunden Cocktails schlürfen und den Facettenreichtum menschlicher Sexualität bewundern. Wenn mich dies für den Rest des Aufenthalts von Nina befreien würde, wäre es mir eine reine Freude!
Der Abend rückte heran, und meine Zimmergenossin hatte mir schließlich nach einigen Anläufen ein Outfit zusammengestellt, mit dem auch ich mich auf Frankreichs Straßen trauen konnte. So nahm ich nun die schwarze Stoffhose, schlüpfte in die Hosenbeine und zog sie mir über meinen Slip. Noch während ich mir das dunkelrote Satin-Oberteil mit den weiten Ärmeln über den Oberkörper streifte und meine langen blonden Haare darüber ausbreitete, sprang die Tür auf und Nina kam mit Sabine herein. Beide traten hinter mich, als ich vor dem großen Spiegel am Schrank stand, von wo aus ich deutlich ein wissendes Grinsen in Sabines Gesicht entdeckte. “Wäre dir Sabine recht?”, erkundigte sich Nina vorsichtig. Nun doch ein wenig verlegen angesichts dieses radikalen Schnitts nickte ich und versuchte, möglichst beschwichtigend ein “Dank dir, Nina!” rauszubringen.
Wir vereinbarten, dass Nina morgen nach dem Frühstück das Feld räumen und Sabine ihren Platz einnehmen würde. Ich bezweifelte zwar, dass Nina in ihrem Komaschlaf den Wecker zu früher Stunde überhaupt hören würde, doch wenn nicht, würde ich sehr gerne bereit sein, dem nachzuhelfen.
Gegen 19 Uhr ging es auf dem Flur der Unterkunft zu wie in einem Bienenstock. Überall tummelten sich die jungen Leute, um das Nachtleben von Paris zu erkunden. Meine Zimmergenossin war ebenfalls sehr hippelig und konnte kaum noch ruhig stehen. Ständig wippte sie mit dem Fuß oder fuhr sich durch die Haare. Auch löcherte sie mich zusehends mit immer intimeren Fragen. Anfangs wollte sie noch wissen, ob ich denn keine Angst hätte, in einen solchen Club zu gehen, und jetzt rätselte sie schon offen darüber, mit welchem meiner Ex-Freunde ich wohl schon SM-Erfahrungen gesammelt haben könnte. Erstere Frage beantwortete ich mit einem klaren: “Nein!”, obwohl mir durchaus ein wenig mulmig zumute war, auch wenn ich mich an exzentrischen Menschen mit sonderbaren Lebensstilen normalerweise nicht störte, solange sie mir nicht das Ohr abkauten. Die letzte Frage ging für meinen Geschmack jedoch zu weit, und so wies ich sie zurecht: “Das geht dich überhaupt nichts an, und wenn du damit fortfährst, mir meine Ex-Freunde aufzuzählen und was ich mit ihnen im Bett vielleicht, vielleicht aber auch nicht gemacht habe, dann werde ich dieses Zimmer heute Abend nicht verlassen!” Das saß, und Nina schenkte mir wieder diesen reuigen Hundeblick. Um einem Anfall von Mitleid zu entgehen, schnappte ich mir noch schnell meinen MP3-Player und beschloss, ihr einfach nicht mehr zuzuhören.