“Ich glaube, du gehst jetzt besser.” Sie sagte es so sanft, dass Leslie es nicht für einen Rausschmiss halten konnte.
Wieder nickte die junge Frau, die nun fertig angezogen war.
“Möchtest du, dass wir dich begleiten? Wir könnten dann etwas quatschen”, bot Judith ihr an.
“Wir kennen uns doch gar nicht”, schniefte Leslie.
“Das können wir doch ändern”, sagte ich hellwach.
Sie überlegte kurz, dann meinte sie: “Ihr habt Recht, hier kann ich sowieso nicht bleiben. Nicht nach dem …”
Sie machte eine fahrige Handbewegung in Richtung des Wohnzimmers.
“Okay, lasst uns gehen, Schwestern”, meinte sie und lächelte uns tapfer an.
“Ich bin Judith und das ist Susanne”, stellte meine Freundin uns vor.
“Ich heiße Leslie, aber das wisst ihr ja schon.”
Ich zog meine Autoschlüssel aus der Handtasche und die beiden folgten mir aus der Wohnungstür zum Auto. Ich fuhr, während Judith und Leslie hinten saßen. Ich sah, dass Judith flüsternd auf Leslie einredete und sie offenbar tröstete.
In meinem Zimmer angekommen, staunte Leslie nicht schlecht. “Ist ja riesig hier.”
“Ich muss jetzt was trinken, wie wär’s mit euch?”, schlug Judith vor.
“Also, eigentlich habe ich ja genug”, gluckste unsere neue Freundin, “aber ich würde gerne mit euch zusammen etwas trinken.”
Ich langte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. Die Sitte, immer einen gekühlten Weißwein im Kühlschrank zu haben, hatte Judith bei uns eingeführt. Bewaffnet mit der Flasche und drei Gläsern kam ich ins Wohnzimmer, wo es sich die beiden schon bequem gemacht hatten.
“Du hast aber eine Menge Mut, Schwester”, betonte Judith, “den Mumm, sich vor den lüsternen Kerlen dort auszuziehen, den hätte nicht jede gehabt.”
Wir prosteten uns zu und Judith fing an zu erzählen.
Ich bin mit drei Brüdern aufgewachsen. Da lernt man, wie man sich behauptet. Allerdings führte das — zumindest bei mir – auch dazu, dass ich meine Weiblichkeit verdrängte. Das ging soweit, dass ich nie einen Freund hatte, weil ich typisch männliche Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen an den Tag gelegt hatte, angefangen von meiner Frisur, bis zu meinen Sportarten. Irgendwann wurde ich ziemlich frustriert und habe mit einer Freundin etwas angefangen. Das war eine spitzenmäßige Zeit und ich habe es sehr genossen. Als ich mit unserem Schwimmverein zu einem Trainingslager eines befreundeten Vereins gefahren bin, ist es dann passiert: Ich habe mich in einen Jungen des anderen Vereins verliebt. Wir saßen am Lagerfeuer und quatschten. Es war einer der wenigen Jungen, die zuhören konnten. Ich hatte auch den Eindruck, er verstehe mich. Heute weiß ich, dass er nur die Schnauze gehalten und mich hat quatschen lassen, damit er mich bumsen kann. Auf einer Tischtennisplatte hinter dem Sportheim hat er mich dann gegen Mitternacht entjungfert. Übrigens, die Blutflecken sind heute noch zu sehen. Wir haben es dann noch drei mal getan, immer nachts, bis das Trainingslager vorbei war. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen. Ich hatte seither zwar auch noch einige Stecher, doch mein Herz fühlt sich zu Frauen hingezogen.