Dann war Kai-jin an der Reihe, sich Theresa vorzustellen. Anschließend gingen wir ins Haus, und ich war erstaunt, wie zielsicher Theresa sich hier bewegte. Man bemerkte überhaupt nicht, dass sie ja nicht sehen konnte wo sie hin lief.
Frau Ratelli lud uns erst mal auf einen Espresso ein und servierte zusammen mit Theresa ein paar Brote und Salate. Dabei sprachen wir über dies und das, und vor allem Kai-jin und ich mussten alles Mögliche über uns erzählen.
Die vorhin noch so redselige Frau Ratelli war im Beisein ihrer Tochter eine erstaunlich gute Zuhörerin, und so gaben Kai-jin und ich die eine oder andere Story zum Besten. Ratellis hatten auch in Deutschland gelebt, das erfuhren wir im Laufe des Nachmittags, als mein Vater sich auf sein Zimmer zurückgezogen hatte. Er musste noch ein paar Pläne für den nächsten Tag bearbeiten. Nachdem Herr Ratelli bei einem Unfall in Deutschland ums Leben gekommen war, zogen Mutter und Tochter in die Heimat zurück. Mit einer blinden Tochter glaubte Frau Ratelli in Italien besser zu Recht zu kommen. Theresa war seit ihrer Geburt blind. Aber dass sie bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in Deutschland gelebt hatte, erklärte ihre sehr guten Deutschkenntnisse.
So glitt der Nachmittag mit allerlei Geschichten und Erzählungen dahin, und Theresa kam mir inzwischen lange nicht mehr so kühl und arrogant vor, wie noch am Anfang als ich sie nur auf der Bank hatte sitzen sehen. Mir war das regelrecht etwas peinlich, dass ich sie so schnell aufgrund eines Blickes verurteilt hatte. Mit meiner Vermutung über ihr Alter hatte ich übrigens genau richtig gelegen, denn Theresa war vor gut einem Monat 19 geworden. Auch ihre Größe hatte ich richtig eingeschätzt. Sie war höchstens 1,50 Meter groß, und damit erheblich kleiner als Kai-jin oder ich, obwohl wir wesentlich jünger waren.
Zum Abend hin verabschiedete sich ihre Mutter aus der fröhlichen Runde um für uns etwas zum Abendessen zuzubereiten. Sie meinte, wir hätten nach dem Tag bestimmt ordentlich Hunger. Das hatte ich tatsächlich und die Espressos vom Nachmittag kämpften mit meinem Magen, da musste dringend Nahrung zugefügt werden.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^