Als meine Mutter merkte, das wir ihr nicht so recht antworten konnten oder wollten, fing sie wieder an zu weinen, und diesmal tat sie es nicht still nur mit ein paar verstohlenen Tränen, nein, sie heulte richtig drauflos. Sie musste den Wagen auf den Seitenstreifen fahren, denn die Tränen versperrten ihr die Sicht.
Sie erzählte uns was sie bisher am Telefon nicht übers Herz gebracht hatte, das Papa plötzlich überraschend vor der Tür gestanden habe. Ich hatte bislang geglaubt, er habe vorher mit unserer Mutter telefoniert. Doch so, wie sie nun erzählte, hatte er einfach plötzlich im Garten gestanden, sie habe einen riesigen Schreck bekommen und geglaubt mit den Kindern sei etwas passiert. Doch er habe sie nicht einmal beruhigt sondern ihr platt vor den Kopf gesagt, er sei nur gekommen, um ihr zu sagen, dass er sich trennen würde. Erst dann habe er ihr gesagt, dass mit den Kindern alles in Ordnung sei, und das sie in Italien gut aufgehoben seien.
Und dann sei auch noch diese Christa aufgetaucht, und plötzlich hätte Rosa angefangen mit ihr zu streiten. Rosa hätte ihr vorgeworfen, sie sei immer das ungeliebte Kind gewesen, niemand hätte sie je richtig ernst genommen, sie wolle bei Vater bleiben, sie würde mit ihm und Christa nach New York gehen. Dort dürfte sie später aufs Konservatorium gehen und könnte sich dann endlich ganz ihrer Musikkarriere widmen.
Das war es also, sie hatten Rosa gekauft. Was für eine billige Masche. Aber Rosa schien das dermaßen zu imponieren, dass sie nicht mehr davon abzubringen gewesen war.
Ich spürte eine unbändige Wut in mir aufsteigen und ich hörte mich sagen: „Ich hätte schneller sein sollen, schneller zuschlagen sollen!” „Geo!”, Kai-jin schrie meinen Namen, sie kreischte ihn regelrecht, „halt den Mund, sei still!”
Meine Mutter sah mich entsetzt an. „Wovon redest du?”
„Nichts”, wiegelte ich ab, „wir hatten Streit!”
Ein skeptischer Blick durchbohrte mich, der Blick einer Mutter, die ihren Sohn gut genug kannte, um zu wissen, dass da noch mehr war, doch sie schwieg, wischte sich die Tränen ab und setzte das Auto wieder in Bewegung. Ein paar prüfende Blicke in den Rückspiegel zu Kai-jin, eine Aufforderung zu erzählen, was passiert war, doch auch Kai-jin schwieg.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^