Mein Vater war sichtlich erleichtert, als er uns sah, und er versuchte sich ein Lächeln abzuringen als er sagte: „Gott sei Dank, alles in Ordnung bei euch?“
Wir schauten uns nur etwas fragend an, „ja klar, was soll denn nicht in Ordnung sein?“ fragte Kai-jin, gerade so, als wäre dies ein ganz normaler Morgen.
„Ach nichts, schon gut“, schüttelte mein Vater den Kopf, und ich glaube heute, er hatte damals wirklich Angst, seine Kinder könnten sich vielleicht etwas angetan haben.
„Kommt ihr zum Frühstück?“ fragte er uns.
„Haben wir dazu denn noch Zeit?“ stellte ich die Gegenfrage in Anspielung auf unsere möglicherweise geplante Abreise.
„Ihr könnt hierbleiben wenn ihr wollt, ihr müsst nicht zurück nach Hause. Aber lasst uns darüber doch beim Frühstück reden!“
Ohne unsere Antwort abzuwarten drehte sich mein Vater um, und ging wieder die Treppe hinab zum Frühstück. Wir sparten uns die Dusche schlüpften in ein paar Klamotten und folgten meinem Vater zum Frühstück. Zu unserem Erstaunen saß Theresa mit am Tisch.
Nach den ersten Bissen begann mein Vater ein bisschen herumzudrücken. Er entschuldigte sich recht kleinlaut für sein Verhalten in den letzten Jahren, er gab zu, dass er immer viel zu wenig für uns dagewesen sei, und das er wohl viel zu viel mit sich selbst beschäftigt gewesen sei, er gab zu, dass er uns nicht hätte im unklaren lassen dürfen, dass es falsch war mit Christa auf dem Stadtfest herumzuturteln, ohne sie uns vorher überhaupt vorgestellt zu haben. Ich war erstaunt. So viel vorbehaltlose Selbstkritik hätte ich meinem Vater niemals zugetraut. Christa und vielleicht auch Theresa mussten ihm in der letzten Nacht ganz gehörig den Kopf gewaschen haben. Während ich mir aber über Theresas Rolle in diesem Spiel noch immer nicht ganz klar war, gab mein Vater uns aber auch zu verstehen, dass er nicht nur unsere Mutter sondern auch uns selbst als Familie ganz verlassen wolle. Er würde mit Christa zusammen nach New York gehen. Er hätte eingesehen, dass er seiner Rolle als Vater nie wirklich gerecht werden könnte, und er hielt es deswegen für besser uns ganz zu verlassen. Und so komisch das heute klingen mag, so ein großer Schock war das damals gar nicht für mich. Mein Vater hatte sich, wie er selbst zugab sowieso viel zu wenig um uns gekümmert, und in vielerlei Beziehung war er eher ein guter Bekannter als ein enger Verwandter oder gar Vater. Irgendwie fühlte ich mich eher so als hätte mir ein Kumpel gerade erzählt, dass er mit seinen Eltern in eine andere Stadt umziehen würde, und nicht so, als hätte mir mein Vater gerade Lebewohl gesagt.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^