Diese Frau machte mich neugierig, aber ich traute mich auch nicht zu fragen, wer das war. So gingen wir, immer noch dem Redeschwall Frau Ratellis lauschend auf das Haus und damit auf die Person auf der Bank zu. Da mein Vater neben Frau Ratelli ging, und Kai-jin und ich ihnen folgten, nutzte ich die Gelegenheit Kai-jin mit einem Seitenhieb auf die Frau auf der Bank aufmerksam zu machen. Leise flüsterte ich ihr ins Ohr, dass das wohl die Tochter von Frau Ratelli sein könnte. Kai-jin zuckte nur mit den Achseln. Sie hatte ja im Auto geschlafen und von unserer Unterhaltung nicht viel mitbekommen.
An der Bank angekommen drehte sich Frau Ratelli zu uns um und stellte uns ihre Tochter Theresa vor. Die stand nun endlich von ihrer Bank auf und streckte uns zur Begrüßung die Hand entgegen. Dabei schaute sie aber immer noch ins nirgendwo. Ich war ziemlich verwirrt. Komische Person dachte ich, ist scheinbar ziemlich eingebildet. Doch Theresa lächelte uns an und sagte:
“Ich merke schon, euer Vater hat euch nichts gesagt, und meine Mutter hat es im Eifer des Gefechtes wohl auch vergessen, ich bin blind!” Ich lief rot an, wie peinlich, darauf hätte ich bei ihrem Verhalten vielleicht auch von alleine kommen können. Aber noch etwas anderes haute mich wirklich um, es war die Stimme von Theresa, die so gar nicht zu dieser zarten Person passen wollte. Noch nie hatte ich bei einer Frau eine solche Stimme live erlebt. Sie klang als hätte sie gerade eine Kiste dicke Havannas geraucht und dazu zwei Flaschen Whiskey getrunken. Ich war total hin und weg.
Theresa lächelte, sie schien zu spüren was vor sich ging. Vorsichtig suchte sie meine Hand, die ich ihr entgegen streckte und betastete sie, anstatt mir die Hand zu geben. Ich hatte keinen Ton gesagt, und doch sprach sie mich an: “Du musst Georg sein!”, dann tastete sie sich an meinen Armen empor und mit einem kurzen “darf ich?” tastete sie meinen Oberkörper entlang und befühlte mein Gesicht. Ich hatte das schon mal in Filmen gesehen, das Blinde so ihr Gegenüber kennenlernten, aber ich war erstaunt und erregt, das neugierige sanfte Fühlen ihrer Fingerspitzen war eine eigentümliche Erfahrung und es machte mich ein bisschen an.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^