Zum ersten Mal war da plötzlich ein Mensch, dem wir uns anvertrauen konnten, denn es gab keine Geheimnisse mehr, außer dem Abend mit Theresa selbst. Eine Last viel von mir und plötzlich wurde mir bewusst, das es längst tief in der Nacht sein musste. Noch immer vernahm man die Stimmen von Christa und meinem Vater aus der unteren Etage, die heftig miteinander stritten. Insgeheim wünschte ich mir ein, dass dieser Streit vielleicht zu einem Bruch zwischen den beiden führen würde. Vielleicht würde sich dann ja wieder alles einrenken. Aber das Leben ist eben nun mal kein Wunschkonzert.
Doch Theresa, die unsere Müdigkeit zu bemerken schien, meinte plötzlich, dass es wohl nun Zeit wäre ins Bett zu gehen und verabschiedete sich von uns.
Mit einem ziemlich mulmigen Gefühl im Magen verschloss ich die Korridortür, ich wollte keine Störung mehr,
nicht an diesem Abend.
“Und was machen wir jetzt?” fragte mich Kai-jin.
Ich wusste es nicht, ich war völlig ratlos. Wir haben immer gewusst, dass das, was wir getan hatten als absolut verboten galt. Es war uns immer bewusst, das man uns ächten würde, das wir Ausgestoßene sein würden,
wenn wir jemals aufflogen, jedenfalls waren wir immer davon ausgegangen. Es würde auf dieser Welt wohl nur ganz wenige Menschen geben, die auch nur ein Fünkchen Verständnis für uns aufbringen würden, und ausgerechnet hier bei Theresa in unserem Urlaub sollten wir auf solch einen Menschen gestoßen sein?
Ich war immer davon ausgegangen, wir hätten es perfekt geschafft unser Verhältnis zu tarnen. Und nun kam eine Blinde dahergelaufen, deren restliche Sinne wegen ihrer Blindheit geschärft waren, und sie sagte uns auf den Kopf zu, dass sie riechen könne, dass wir miteinander Geschlafen hätten.
Und die einzige Reaktion drauf war, dass sie sich dafür bei uns entschuldigte, wie sie sich verhalten hatte? Ich konnte es nicht fassen, ich war mir nicht klar darüber ob ich mich freuen sollte oder ob ich mich gleich übergeben müsste, denn mich beschlich eine unbändige Angst. Aber es war nicht mehr die Angst aufzufliegen, es war viel mehr panische Angst, Kai-jin zu verlieren.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^