Nach einer weiteren knappen Stunde, ich war schon ziemlich außer Atem vom vielen Tanzen, fiel mir auf, das Theresa ganz alleine an dem Tisch saß, an dem wir eben noch in so großer Runde gesessen hatten. Niemand hatte sie zum Tanzen aufgefordert.
Warum eigentlich nicht dachte ich mir, und plötzlich betrachtete ich sie nicht mehr mit diesem skeptisch reservierendem Blick, denn nun tat sie mir ein bisschen Leid.
Immer waren alle darum bemüht, ihr ein möglichst normales Leben zu bieten, obwohl das natürlich nicht wirklich möglich war, und jetzt waren wir wieder an einem dieser Punkte, an denen deutlich wurde, das sie eben doch nicht ganz dazugehörte, denn jeder andere im Lokal tanzte inzwischen selbst oder beobachtete andere dabei. Theresa, die einfach nur vor sich hin sinnierte beachtete keiner mehr.
Ich ging zu ihr an den Tisch, sprach sie an, damit sie wusste, wer ich war, denn die laute Umgebung machte es ihr schwer, die Leute zu erkennen, die auf sie zutraten, und fragte sie, ob sie nicht mit mir tanzen wolle.
Das Lächeln, das sie mir schenkte haute mich fast um. All meine Skepsis, meine Abneigung ihr gegenüber war verschwunden, so viel Wärme und Dankbarkeit lag in diesem Lächeln, das selbst ihre Augen glänzen ließ.
Einen Moment lang viel mir der alte Spruch wieder ein, die Augen eines Menschen seien der Spiegel seiner Seele, und ich fragte mich, ob das auch für Blinde gelte.
Gemeinsam gingen wir auf die Tanzfläche und ich hielt Theresa eng an meiner Seite, damit sie die Stufen zur Tanzfläche hinab nicht hinschlug.
Zunächst noch etwas verkrampft und unsicher wagten wir langsamen wiegenden Schrittes einen kleinen Tanz. Doch erstaunlich schnell stellte sich Theresa auf mich ein, und überließ mir das Führen. Beim nächsten Stück, das um einiges schneller war, wollte sie wieder gehen, doch ich hielt sie zurück, zog sie ganz eng an mich, und wir begannen erneut zu tanzen.
Schon nach wenigen Schritten hatte sich Theresa nicht nur mit der Situation abgefunden, sondern ließ sich voll darauf ein. Ganz eng schmiegte sie sich an mich, so als wolle sie mit meinem Körper geradezu verschmelzen. Jeden meiner Schritte, jede meiner Drehungen spürte sie so schon im Ansatz und konnte darauf reagieren. Wir tanzten, als hätten wir nie etwas anderes getan. In mir begann es zu kribbeln, und ich spürte auf einmal ein Verlangen, das weit mehr war, als die Lust zu tanzen. Wie zur Bestätigung lehnte sich Theresa noch enger an mich, schmiegte ihren Kopf an meine Brust. Ich roch ihr duftendes Haar, in das ich mein Gesicht vergrub.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^