Theresa lächelte, und ihr schien der Gedanke ebenfalls zu gefallen. “Und was werdet ihr machen wenn ihr zu Hause seid?” Und als von mir nicht sofort eine Antwort kam, fügte sie noch hinzu, “wegen Eurer Eltern!”
Was sollten wir schon tun. Ich hatte nur Angst vor Streit und Stress, mein Vater war sowieso fast nie zu Hause gewesen, würde sich also so viel ändern? Andererseits hatte ich auch Angst vor der neuen Situation. In den Wochen seid Vaters Abreise hatten wir fast jeden Abend mit unserer Mutter telefoniert, unsere Eltern würden sich trennen, das stand fest. Vater würde nach New York gehen, und was mich ein wenig verwirrte; er würde Rosa mitnehmen. In fast jedem Telefonat hatte Mama erzählt, wie sehr sie sich wieder mit Rosa gestritten hatte. Ich verstand das meiste davon nicht. Warum sich meine Mutter plötzlich nicht mehr mit Rosa verstand war mir absolut schleierhaft. Ich verstand auch nicht, das Rosa plötzlich alles so egal war. Nicht, dass wir uns immer gut mit ihr verstanden hätten. Rosa war immer eine Einzelgängerin gewesen. Aber ich hätte nicht gedacht, dass sie sich bei uns unwohl fühlen würde. So wie meine Mutter das erzählte, war das aber scheinbar der Fall. Sie hatte meiner Mutter viele Vorwürfe gemacht, sie sei immer das ungeliebte Kind gewesen. Und mit Christa verstand sie sich scheinbar super. In den letzten Wochen der Ferien sei sie fast jeden Tag bei Vater und Christa gewesen. Das hatte natürlich sehr viel Streit gegeben, und irgendwie war ich ein bisschen froh, dass wir hier weit genug weg in Italien saßen. Aber wir mussten der Wahrheit auch ins Auge blicken. Vater würde übermorgen abreisen, zusammen mit Rosa, und wenn wir wieder zu Hause wären, dann würde nichts mehr so sein wie vorher. In den letzten Wochen hatte sich ohne unser Zutun unser ganzes Leben umgekrempelt, und ein Großteil des Geschehens war sogar gänzlich an uns vorbeigegangen, während wir hier in der Toscana unsere Ferien genossen hatten.
Seit dem mein Vater abgereist war hatten wir mit ihm nicht mehr gesprochen, und ich hatte auch nicht das Gefühl, als hätte ich ihm sonderlich viel zu sagen. Trotzdem hatte ich Angst. Angst vor dem was da kommen mochte. In einem Anflug von Zorn oder Groll etwas zu denken und zu entscheiden ist einfach, aber später mit dieser Entscheidung leben zu können, das ist etwas ganz anderes, und das wir damals, selbst in diesem jugendlichen Alter schon klar. Wieder begann ich das Erwachsenwerden ein klein wenig zu hassen. Es war alles so kompliziert.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^