Endlich kamen wir auf einem Hof einige Kilometer außerhalb von Massa Marittima an. Das Gelände war riesig. Einige langsam zerfallende Gebäude zeugten von einer besseren Zeit, als dieser Gutshof noch eine gewisse Bedeutung gehabt haben musste. Mein Vater hatte auf der Fahrt erzählt, dass der Hof nur noch als eine Art Pension diente und von einer älteren Frau und ihrer Tochter bewohnt wurde, aber sie würden sich rührend um ihre Gäste kümmern und besonders die gute Küche der Ratellis, so hießen die Besitzer, wäre berühmt. Als Bauernhof diente er schon lange nicht mehr. Was man den Gebäuden auch deutlich ansah. Nur das Haupthaus war in erstaunlich gutem Zustand und wirkte schon fast wie ein Schloss. Ich fragte mich wie viele Gäste dort wohl untergebracht waren, so riesig wie das Ganze war. Aber mein Vater beantwortete diese Frage schon mit seinen nächsten Worten: “Momentan seid ihr die einzigen Gäste, viel ist hier sowieso nicht los, aber wenn es geht, dann nehme ich euch mit, wenn ich unterwegs bin, natürlich nur wenn ihr wollt!”
Er erzählte noch, dass er eigentlich nie hier sei, sondern dauernd mit der Kollegin aus New York unterwegs. In Italien sei immer alles sehr kompliziert und die Behörden seien teilweise noch schlimmer als in Deutschland, das würde gerade für ausländische Firmen einiges verkomplizieren. Manchmal bliebe er auch einige Tage weg, wir müssten dann eben alleine was unternehmen, aber das traute er uns zu, wir seien ja schließlich schon groß und könnten auf uns alleine aufpassen.
Naja, mein Vater war schon immer etwas komisch gewesen, wenn es um seine Kinder ging, also wunderte mich dies auch nicht sonderlich.
Auf dem Hof wurden wir von einer älteren Italienerin freudig begrüßt. Ich verstand zwar fast kein Wort, denn sie verfiel vom Deutschen, das sie eigentlich erstaunlich gut sprach, immer wieder in ihr schnell gesprochenes Italienisch. Aber sie freute sich scheinbar wirklich ein paar junge Leute als Gäste in ihrem Haus begrüßen zu dürfen.
Plötzlich bemerkte ich eine junge Frau, die um einiges älter war als wir. Ich schätzte sie auf 18 bis 19 Jahre. Sie saß fast reglos auf einer Bank vor dem Haus. Ich glaubte nur erkennen zu können, dass sie unseren Gesprächen lauschte, aber sie schaute vollkommen unbeteiligt in den Himmel. Das verwirrte mich ziemlich. Zugleich war ich von diesem Anblick total fasziniert. Sie schien mir relativ klein zu sein, obwohl das bei sitzenden Personen schwer zu beurteilen ist, aber ich schätzte sie auf etwa 1,50. Eine typische Italienerin, mit prächtiger schwarzer Mähne, die sie scheinbar kaum bändigen konnte und unheimlich zarten Gesichtszügen wie bei einer Barbiepuppe, deren Perfektion nur von einer für sie viel zu großen Nase zerstört wurde.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^