„Beschreib mir den Himmel“ forderte sie mich auf. „Erzähl mir was du siehst!“
Was sollte ich tun, also beschrieb ich ihr den Himmel: „Ich sehe einen tief dunklen Himmel, und viele Sterne, aber keinen Mond.“
„Wie sehen Sterne aus?“ fragte sie.
Wie sollte ich einer Blinden, die noch nie in ihrem Leben etwas gesehen hatte die Sterne beschreiben? Ich merkte wie schwer mir das fiel, aber ich versuchte es. „Es sind viele kleine und etwas größere helle Punkte am Himmel verstreut, mal dicht beieinander mal weit auseinander, geradeso als hatte jemand helle Farbe auf einem dunklen Untergrund ziellos verspritzt. Manche Farbspritzer ergeben Figuren wenn man genau hinsieht, andere scheinen überhaupt keinen Zusammenhang zu ergeben!“
„Welche Figuren siehst Du?“ fragte Theresa neugierig, und der rauchige Klang ihrer Stimme versetzte mich allmählich in eine melancholische Stimmung. Da ich außer dem großen Wagen eigentlich keine Sternbilder kannte, legte ich mich Rücklings auf die Wiese, Theresas Kopf immer noch in meinem Schoß, nahm ich ihre Hand und zeigte nach und nach auf verschiedene Sternenformationen aus denen ich meinte irgendwelche Tiere erkennen zu können und beschrieb sie ihr.
Theresa war in der Zwischenzeit etwas höher gerutscht, so dass wir fast nebeneinander auf der Wiese lagen und plötzlich merkte ich wie sie mit der anderen Hand, denn ihren einen Arm hielt ich noch immer und benutzte ihn wie ein Zeigestock, um ihr zu verdeutlichen, wo ich denn etwas gesehen hatte, mich langsam zu streicheln begann. Bei mir begann sich wieder etwas zu regen, und um von der Situation ein bisschen abzulenken forderte ich sie auf, mir doch mal die Nacht aus ihrer Sicht zu beschreiben. Zugleich fiel mir auf, dass das eine ziemlich blöde Formulierung war, denn Theresa konnte ja nichts sehen, doch sie lächelte nur. Sie hatte sich längst an solche Formulierungen gewöhnt.
„Schließ deine Augen!“ befahl sie mir, und wie, um mich kontrollieren zu wollen, fühlte sie mein Gesicht ab. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich die zärtliche Berührung ihrer warmen Hände auf meinem Gesicht spürte. „Nicht öffnen!“ wiederholte sie noch einmal ihre Bitte. „Ich möchte dass du mal versuchst dich in meine Lage zu versetzen.“ Ich versuchte es, schloss die Augen und konzentrierte mich auf die Umgebung. Ich wusste aber nicht auf was ich mich konzentrieren sollte, und so kam mir die Nacht nur unendlich grau und leer vor.
2 replies on “Georg Genders Schwester.”
Eine der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^
Einer der besten Geschichten die ich je gelesen habe. Ich würde mich freuen wenn es bald weiter geht.^•^